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Wissenswertes
   
 


In diesem Artikel geht es um die Frage ob Stalin zwangsläufig das Resultat nach Lenin war, oder ob ein anderer Ausgang möglich gewesen wäre.
Wer waren die anderen möglichen Kandidaten? Wer hätte außer Stalin an die Macht des Sowjetstaates kommen können?


Wie die Bolchewiki an die Macht gekommen sind ist ja bekannt. Lenin war der unumstrittene Führer der Partei und damit auch der 1. Vorsitzende des ersten Zentralkomitees (ZK). 
Lenin starb 1924 nachdem er drei schwere Herzanfälle erlitten hatte.

Das Zentralkomitee (ZK) war als höchstes Gremium der Partei angedacht und sollte jegliche Partei- und Regierungsaktivitäten zwischen den Parteikongressen leiten und delegieren. Die Mitglieder des ZK wurden während des Kongresses für fünf Jahre gewählt und sollten ihrerseits das Politbüro wählen, welches dem ZK eigentlich unterstellt sein sollte.
Wirkliche Macht hatte das ZK aber wenig, da es über eine viel zu hohe Mitgliederzahl verfügte und weil es viel zu selten tagte. Somit war seine einzige Hauptaufgabe, die Entscheidungen des Politbüros zu legitimieren und im Konsens anzukündigen.
Das ZK traf sich nur zwei Mal im Jahr und die Tagungen dauerten nicht selten zwei Tage. Das Politbüro war das tatsächliche Entscheidungsgremium der Partei, welches aus den wichtigsten Mitgliedern des ZK bestand. Seine eigentliche Aufgabe war die Leitung des Politischen Büros (daher Politbüro) und es sollte dem ZK unterstellt sein. In Wahrheit aber, überwachte das Politbüro die Aufgaben des ZKs, und alle wichtigen politischen Entscheidungen wurden erst hier entschieden, um sie dann dem ZK zur Entscheidungsankündigung zu übergeben.
Durch die Hierarchiestruktur die es innerhalb der Partei gab wurde jeglicher Vorschlag des Polit-büros vom ZK als Direktive bzw. Gesetz aufgefasst.

Das Politbüro wurde von Lenin im Jahre 1917 gegründet, um die Revolution besser leiten zu können und nach dem 8. Partei Kongress im Jahre 1919 wurde-  und blieb es das wahre Machtzentrum der Partei und letztenendes des Staates.
Die Mitglieder des Politbüros wurden durch die bestehenden Mitglieder in einer geheimen Nominierung gewählt. Es gab "Volle Mitglieder" (mit Stimmrecht) und "Kandidaten" (ohne Stimm-recht) deren Anzahl sich oft veränderte. Im Normalfall bestand das Politbüro aus 14 Mitgliedern und  8 Kandidaten. Obwohl es formal keinen Anführer haben sollte wurde es immer vom Generalsekretär geleitet, welcher auch die Leitung des Zenralkomitees inne hatte. Eine kleinere Gruppe von Politbüro-Mitgliedern machte das Sekretariat aus, eine noch engere Gruppierung von Vertrauten des Generalsekretärs.
Zu keiner Zeit hat eine Frau die volle Mitgliedschaft des Politbüros errungen.
Von 1952 bis 1966 wurde das Politbüro "Präsidium" genannt.
 

Das erste Politbüro wurde, wie oben berichtet, im Jahre 1917 errichtet. Genau zwei Wochen vor der sogenannten "Oktoberrevolution", am 10. Oktober berief Lenin ein geheimes Zusammentreffen mit einigen seiner Getreuen in St. Petersburg (Petrograd) in welchem die Schicksalsfrage der Geschichte entschieden wurde, ob man gewaltsam die Machteroberung wagen sollte. Die Ent-scheidung für den Aufstand fiel also erst an diesem Tag und diese entscheidende Sitzung fand in Nikolaj Suchanows Wohnung in der Karpowska 32 in Petersburg statt. Alle Delegierten erschienen verkleidet, Lenin erschien in Perücke, aber ohne Bart, Sinowjew mit Bart, aber ohne Kopfhaar.
Die Sitzung dauerte rund 10 Stunden, bis 3 Uhr nachts etwa. An diesem Treffen sprach sich Lenin mit Nachdruck und Erfolg für einen sofortigen Aufstand aus und verlangte die Annahme einer Resolution; von den 21 Mitgliedern des bolchewistischen Zentralkomitees waren nur 12 anwesend:
Lenin, Sinowjew, Kamenjew, Trotzki, Stalin, Swerdlow, Uritzki, Dsershinski, Kollontaj, Bubnov, Sokolnikov und Lomov.
Swerdlow führte den Vorsitz. Die Resolution wurde mit 10 Ja- und 2 Neinstimmen angenommen. Lediglich  Kamenjew und Sinowjew stimmten dagegen, da ihres Erachtens die Bolchewiki über zuwenig Rückhalt in der Provinz verfügten. Zwei der Abwesenden, Rykov und Nogin, hätten vermutlich ebenfalls mit "Nein" gestimmt.
Nach der Versammlung erklärte Kamenev öffentlich: "Die Meinung der Partei wurde nicht eingeholt. Derartige Fragen können nicht von 10 Mitgliedern entschieden werden". (1)
Diese Sitzung war die Geburtsstunde des ersten Politischen Büros (Politbüros) der Partei, dem Lenin, Trotzki, Kamenjew, Sinowjew, Stalin, Bubnov und Sokolnikov angehörten.
Es sollte der Partei täglich Anweisungen für den Aufstand erteilen, tatsächlich aber spielte es während des Aufstands keine Rolle und tagte nicht ein einziges Mal. Es stellte nur eine Gruppe von Männern dar, die zu Lenins engsten Freunden zählten und als Autoritäten auf höchster Ebene galten. Nach der Machtergreifung übernahm das Zentralkomitee erneut die Führung der Partei.


Die Frage der Revolution hat sich oft gestellt. Wie sah es eigentlich in der Hauptstadt des russischen Reiches aus während dieser sogenannten "Revolution" aus?
Als in der Nacht des 24. Oktober die ersten bolchewistisch-freundliche Truppen auf die Straßen Petersburgs zogen, sah alles noch ganz und gar nicht revolutionär aus. Elegante Frauen und Männer spazierten umher, die Geschäfte Petersburgs waren voll mit kostbaren Waren, und am Alexandrinsky Theater sah man an dem Abend Tolstois "Der Tod Ivan des Schrecklichen". Die Kinos, Bars und Nachtclubs waren voller Aktivitäten und das Restaurant de Paris musste Leute abweisen, welche unglücklich genug waren nicht vorher reserviert zu haben. Kurz, nichts deutete auf einen möglichen Staatsstreich hin.
Als am Nachmittag eine Delegation des Bürgermeisters zu Trotzki in den Smolny trat und ihn fragte ob den nun der Aufstand stattfinde oder nicht versicherte dieser, dass der Aufstand wie geplant vonstatten gehen würde. Etwas irritiert, verließ die Delegation den Smolny wieder da es kaum Anzeichen für eine solche Aktion gab.
Lenin saß in seinem Versteck in Suchanows Wohnung und konnte es kaum glauben dass nichts passierte. Anders als die offizielle Sowjet-Version, gab es zu diesem Zeitpunkt keine große Koordination zwischen Lenin und dem Zentralkomitee, ja er misstraute sogar den revolutionären Willen seiner Genossen.
Um ca. 19:00 schreibt Lenin einen Brief in dem er seine Mitstreiter auffordert noch in dieser Nacht den Aufstand zu wagen.
Um 22:00 entschließt sich Lenin schließlich seine Wohnung zu verlassen und sich auf dem Weg zum Smolny zu machen. Mit einer schlechtgemachten Perücke, Augengläsern und einem Hals-tuch um den Kopf erreicht er das Smolny-Gebäude.
Am morgen des 25. Oktober machten sich kleinere Truppenbewegungen bemerkbar, sie nahmen die Neva Brücken ein, das Telegrafenamt, die Postämter, die Bahnhöfe, die Zentralbank und die E-Werke ein. Es gab keine Schüsse und die Soldaten waren sichtlich erleichtert, dass es keinen Widerstand gab. Die Truppen umzingelten einfach die Gebäude und forderten die anwesenden zur Aufgabe.
Als Kerenski am morgen aufwachte, schaute er aus dem Fenster und bemerkte dass die Bolchwiki die gegenüberliegende Brücke zum Winterpalast kontrollierten. Schnell entschloss er sich zu fliehen aber es war kein Auto fahrbereit denn die Bolchewiki hatten die Verteiler von den Autos entfernt. Kerenski wandte sich erfolglos an die Britische und Italienische Botschaft mit der Bitte ein fahrbereites Auto zu bekommen, schließlich war der Amerikanische Vize- Militärattache´ E. Francis Bigg bereit dem Führer der Provisorischen Regierung eins zu überlassen. So konnte Kerenski die Stadt noch verlassen.
Lenin verkündete mittlerweile aus dem Smolny die Absetzung der alten Regierung. Die Stadt ignorierte erst einmal Lenins Ankündigung. Die Straßenbahnen und Busse fuhren weiter, die Banken waren auf und die Fabriken arbeiteten unvermindert weiter. Die Truppen hatten sich an strategisch wichtigen Punkten verteilt, waren aber sichtlich gelangweilt. Die Mehrheit der Petersburger war so unbeeindruckt von den Ereignissen, dass sie nicht an ein ernsthaftes Überleben eines Bolchwistischen Regimes glaubten.
Die Eroberung des Winterpalasts war so unkoordiniert, dass man selbst nach der Einnahme noch eine Führung besichtigen konnte. Allerdings fanden sich jetzt Spuren von Aufruhr und Unordnung, Matratzen und Decken lagen auf dem Boden, Zigarettenstücke und leere Weinflaschen; Viele der Aufrührer waren betrunken. Eine Hälfte des Palastes wurde immer noch von Kerenskis Ministern bewohnt, welche immer noch hofften dass Kerenski mit einer erstarkten Armee zurückkehren würde; sie weigerten sich aufzugeben.
Wie sich herausstellte, beeinträchtigte der Aufstand kaum das alltägliche Leben der Stadt. Die übriggebliebenen Minister berieten stundenlang, weigerten sich aber immer noch aufzugeben. Ein Bolchewik auf seinem Fahrrad eröffnete Ihnen dann spät in der Nacht die Nachricht, dass der Palast gestürmt wird wenn sie sich bis um 7:10 Uhr am nächsten Morgen nicht ergeben. Das Frachtschiff Aurora wurde angewiesen das Feuer zu eröffnen, wenn aus der Peter und Paul Festung ein rotes Licht aufleuchtet. Die Bolchewistische Geschichte übermittelte bisher das Bild einer tadellosen und gut organisierten "Revolution". Die Aurora soll dabei den Palast schwer getroffen haben. In Wahrheit war das Schiff aus den Docks herausgeholt worden und hatte nur leere Munition an Bord. Die Wachen in der Peter und Paul Festung konnten kein rotes Licht ausfindig machen und gaben das Zeichen mit einem weißen Leuchtsignal, woraufhin die Aurora ihre leere Munition abfeuerte.
Die Kadeten am Palast eröffneten das Feuer mit Maschinengewehren aber es dauerte einige Minuten bevor sie verstanden, dass die Aurora keine Munition hatte. Gegen 11:00 Uhr wurde der Winterpalast dann von Kanonen der Peter und Paul Festung beschossen, aber die meisten fielen in die Neva. Innerhalb von zwei Stunden feuerten die bolchewistisch-gesinnten Soldaten ca. 35 Schüsse: nur zwei davon trafen den Palast und fügten nur sehr geringfügigen Schaden.

Vladimir Aleksandrovitch Antonov-OvseenkoUm 2 Uhr nachts, am 26. Oktober wurde dann auch der 
Block des Palastes in dem sich die Minister aufhielten
erstürmt und geplündert. Ein Kadet der Wache fragte den
Justizminister Malyantovich wie die Befehle der Regierung
lauten und ob man bis zum letzten Mann kämpfen soll. Der
Minister, im Einklang mit all den anderen im Raum antwortete:
"Es ist nicht mehr nötig. Es ist sinnlos. Kein Blutvergiessen."
In diesem Moment stürmte ein Mob Bolchewistischer Soldaten
und Sympatisanten und vergriff sich an die Minister. Einer von
Ihnen schrie: "Ich informiere Sie, die Mitglieder der Provisorischen
Regierung, dass sie verhaftet sind. Ich bin Vladimir Antonov-
Ovseenko
und Bevollmächtigter des Revolutionären
Militärkomitees."
Damit fiel die Stadt Petrograd an die Bolchewiki.
 V. A. Antonov-Ovseenko

Die Frage ob dies eine "Revolution" der Massen war ist im Licht dieser Ereignisse leichter zu beurteilen. Die sogenannte "Revolution" war eher eine Militäraktion einer kleinen Minderheit,
sowohl im Sowjet als auch bei der Bevölkerung selber. Das was im Oktober passierte war in anderen Worten eine Amateur-operation des von Trotzki gegründeten Militärischen Revolutions-komitees, einiger Matrosen der Baltischen Flotte und einer Handvoll neuformierter Rotarmisten die die strategisch wichtigen Zentren der Hauptstadt an diesem 24.Oktober besetzten. Das Petrograder Proletariat, also die breite Masse der Arbeiter und Bauern, genauso wie die Kasernen der Hauptstadt blieben neutral und haben sich nicht beteiligt. Die Machtübernahme der Bolchewiki war das Resultat der Trostlosigkeit und Willenlosigkeit der Bevölkerung, selbst die reguläre Armee hatte die Lust am Kampf verloren. Lenin selber kommentierte jenen Tag folgendermaßen: "Die Partei fand die Macht auf der Straße und hob sie einfach auf!"

Lenin, zwar unumstrittener Bolchewikenführer, aber völlig unbekannt sowohl für die meisten Russen als auch in der Aussenwelt, fand sich jetzt als Vorsitzender des neugeschaffenen Volks-kommisariats Sovietrusslands wieder.
Das historische Märchen über eine "Revolution von Unten", einer Revolution die von den Massen geführt wurde und die Interessen der Massen verteidigte ist immer noch vieleorts im Umlauf, hat aber mit der Realität nichts zu tun. Das Proletariat bzw. die Masse des Volkes kam nie an die Macht; Wer an die Macht kam, war eine politische und organisatorische Organisation, die Bolchewistische Partei.

Nach der Machtergreifung der Bolchewiki beendete das Politbüro seine Funktion und das Zentral-kommitee übernahm offiziel die Führung des Staates. Die Regierungsgewalt der ersten Stunden und Tage übernahm der Allrusische Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte bzw. das neugewählte Allrussische Zentrale Exekutivkomitee. Die Minister hießen jetzt Volkskommissare, ganz nach dem Vorbild der Französischen Revolution und der Rat der Volkskomissare unterstand unter dem Vorsitz Lenins als "provisorische Arbeiter- und Bauernregierung"  der Kontrolle des Exekutivkomitees.
Um eine funktionierende Verwaltung aufzubauen, ordnete sich dieser im Verlauf des November 1917 die alten Behörden einfach unter, obwohl Lenin selbst früher wiederholt die völlige Zerschlagung des alten Staatsapparates hervorhob. Lenin gefiel sich in der Rolle des Vorsitzenden. Die Sitzungen des Rates der Volkskommissare (Sownarkom) dauerten 5 bis 6 Stunden. Dabei achtete Lenin streng auf die Einhaltung des Zeitplans. Sobald ein Referent sich nicht an die vorgeschriebene Zeit hielt, wurde er von Lenin unterbrochen. Er zog den Schriftverkehr Telephongesprächen vor. Bei seiner langwierigen Überarbeitung von Dokumenten achtete er mehr auf den politischen Inhalt als auf den literarischen Stil. Er arbeitete viel, doch sobald er sich unwohl oder müde fühlte,  warf er alles hin und erholte sich. Allein in seinen letzten sechs Lebensjahren unternahm er unzählige Urlaubs-reisen.
Bereits Ende Oktober kam es zur ersten Regierungskrise. Berechtigte Forderungen der anderen Parteien nach einer Koalitionsregierung, welche auch von einigen Mitgliedern des ZK der Bolchewiki unterstützt wurden, waren für Lenin gleichbedeutend mit Konterrevolution. Er wollte sein Macht-monopol nicht aus den Händen geben. Die Krise im ZK und in der Regierung bewies, dass das wahre Ziel Lenins nicht die Sowjetmacht als solche war, sondern eine Sowjetmacht als Diktatur der bolchewistischen Partei. Er wollte eine rein bolchewistische Regierung. Anfangs ging Lenin ganz in seiner umfangreichen Regierungsarbeit auf. Wie aus den Sitzungsprotokollen hervorgeht, hatte der Rat der Volkskommissare ein gewaltiges Arbeitspensum zu erfüllen. Die Bolchewiki wollten die sozialistische Gesellschaft aufbauen, indem sie das riesige Land zentral verwalteten, bis in die kleinsten Bezirke hinein kontrollierten und die gesamte gesellschaftliche Entwicklung reglementierten. Allein im November und Dezember 1917 berieten die Kommissare über beinahe 500 Fragen des staatlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens. Zu Beginn bestanden die Hauptaufgaben in der Konfiszierung, Aufteilung und Bewilligung von Mitteln in der Revolutions-gerichtsbarkeit und dem Kampf gegen Sabotage.
Ein Dekret folgte dem anderen, doch keines war genau durchdacht. Einzig und allein die "revolutionäre Zweckmäßigkeit" bildete die Grundlage ihrer Ausarbeitung und Annahme. Laut Gesetz war es nunmehr möglich, jede beliebige Bagatelle, die den Anschein einer "bourgeoisen Tätigkeit" hatte, zu verurteilen.

Lenin selbst erließ auf einem speziellen Vordruck mit dem Stempel "Vorsitzender des Rates der Volkskommissare" eine Vielzahl unterschiedlicher Anordnungen.
Das Regierungsoberhaupt hatte niemals in der Industrie, in der Landwirtschaft oder in den Staats-organen gearbeitet und verfügte daher nur über oberflächliche Kenntnisse der verschiedenen staatlichen Aufgabenbereiche. Viele seiner Anordnungen waren verwirrend und schwer verständlich. Deutlich kamen darin seine Selbstüberschätzung und sein Mangel an Erfahrung zum Ausdruck. Von der völligen Konzeptlosigkeit der ersten Monate zeugt auch die Auswahl und Ernennung der Volkskommissare.
Die Regierung ließ sich vor allem von "Klassen"-Prinzipien und der Übereinstimmung ihrer Beschlüsse mit den marxistischen Dogmen leiten. Mit seinen staatlichen Dekreten ermutigte Lenin die Klassenwillkür, demoralisierte die Menschen, provozierte organisierten Widerstand und entfachte auf diese Weise den Bürgerkrieg, der sich bald zu einem Flächenbrand ausweiten sollte.

Im November 1918 wurde eine Konzentration aller politischen, wirtschaftlichen und militärischen Kräfte durch die Gründung des Rates für Arbeiter- und Bauernverteidigung vorgenommen. War zuvor eine revolutionäre, egalitäre Selbsverwaltungsform noch offen, wurden nun durchgehende Instanzen geschaffen, die Autonomie der lokalen Sowjets aufgehoben und sich allein auf den Apparat der Volkskommissare gestützt.
War politisch jetzt eine Zentralisation geschaffen, folgten weitere Zentralisierungen bald nach. Obwohl in der bolchewistischen Partei theoretisch die Einsicht vorhanden war, dass ein Polizei-apparat ohne Kontrolle der Massen sich langfristig zu einem Unterdrückungsapparat entwickeln müßte, hat der Rat der Volkskommissare im Dezember die Allrussische Kommission zum Kampfe gegen die Konterrevolution, Spekulation und Sabotage eingesetzt, die Tscheka. 1918 erhielt sie unbegrenzte Vollmachten zum "Schutz der Revolution", später noch weitere Aufgaben, so dass sie sich ungehindert zu einem Staat im Staate entwickeln konnte. Ab 1918 wurde, obwohl es genug freiwillige Soldaten, Arbeiter und Bauern für den Kampf gegen die äußeren und inneren Feinde gab, eine zentralistische, am Vorbild bürgerlicher Armeen ausgerichtete rote Armee gegenüber einer Miliz, die dezentral den lokalen Sowjets unterstehen sollte und auf Arbeiter- und Bauernabteilungen aufbauen sollte, bevorzugt.

Lange zogen sich die Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern der Arbeiterselbstverwaltung in den Betrieben und denen einer zentralistisch gelenkten Wirtschaft hin, da die Losung "Alle Macht den Räten" eine breite Basis unter den Arbeitern hatte. Die Regierung bekam die spontanen und täglichen Enteignungswellen nicht in den Griff, und bis zum Sommer 1918 war die Enteignung der Industriebetriebe durch die Betriebskomitees noch immer in Frage gestellt. Erst gegen Ende des Jahres setzten sich die Anhänger der extremen Zentralisierung unter dem Druck des Bürgekrieges durch. Die Entmachtung der Betriebskomitees erfolgte von jetzt an weitgehend durch die Verfügung der ökonomischen Zentralinstanzen über Kredite und Rohstoffe, die den Betriebskomitees nur zugestanden wurde, wenn sie sich den staatlichen Lenkungsorganen mit dem obersten Volks-wirtschaftsrat an der Spitze unterordneten.
Damit hatte ein Prozeß einen Abschluß erreicht, der im politischen wie auch im ökonomischen Bereich zu einer Zurückdrängung der rätedemokratischen Selbstverwaltungsorganisationen geführt hatte. In der staatlichen Verwaltung und in der Leitung der Volkswirtschaft gab es jetzt einen lückenlosen Verwaltungsweg bis hin zur Basis. Dazu kam die Beibehaltung des alten Beamten-apparates, eine loyale Armee und eine mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattete Geheim-polizei. Durch die häufige Personalunion von einerseits Partei- und andererseits ökonomischer und politischer Letungsfunktion ergab sich zwangsläufig, dass Entscheidungsprozesse immer mehr in die Partei verlagerten.
Der Erfolg der bolchewistischen Partei als Vorzeigeorganisation in der "Oktoberrevolution" beruhte darauf, dass sie die organisatorische Disziplin ihrer Mitglieder vereinte mit undogmatischer Offenheit und Freiheit der Diskussion über die einzuschlagende sozialistische Strategie. Diese Freiheit wich jetzt, aus der Sicht der Parteiführung mußten die innerparteilichen Entscheidungsprozesse "effektiver" werden.


Am 25. März 1919 wurde das Politbüro des Zentralkomitees (ZK) wiedergegründet.

Lenin, Kamenev, Krestinsky, Stalin und Trotzki wurden Vollmitglieder, Bucharin, Zinoview und Kalinin wurden zu Kandidaten gewählt.

Lev Borisovich Kamenev (Rozenfeld)Nikolaj Nikolaevich KrestinskyJosef Vissarionovich Stalin (Dzhugashvili)Lev Davidovich Trotski (Bronstein)
      Lev B. Kamenev  Nikolaj N. Krestinsky      Iosif W. Stalin      Lev D. Trotzki
Vladimir Ilich Lenin (Uljanov)Nikolaj Ivanovich BukharinGrigory Yevseevich Zinoviev (Radomyslskiy)Mikhail Ivanovich Kalinin
     Vladimir I. Lenin   Nikolaj N. Bucharin  Grigory Y.Zinoviev       Michail I. Kalinin

Das Politbüro hielt am 16. April 1919 seine erste Sitzung. Zwischen den Jahren 1919 -1921 tagte dieses Organ 95 Mal um die wichtigsten Entscheidungen zu treffen und sie über das Zentrakomitee verkünden zu lassen.

Seit 1919 ging man dazu über, den Parteiapparat bis zu den örtlichen Komitees hinunter vom ZK zu finanzieren. Bis 1921 wurden nur hauptamtliche Sekretäre bezahlt, danach wurden auch Propagandisten und Agitatoren entlohnt. 1919 hatte der Verwaltungsapparat des ZK noch weniger als 100 Mitglieder umfaßt, 1920 bereits 150 und seit 1921 bereits über 600. Die Partei war keine proletarische Partei mehr, 1921 kam das generelle Fraktionsverbot, 1923 befand sich unter den gewählten Mitgliedern und Kandidaten des ZK beim XII. Parteitag kein einziger und Bauer mehr. Widerstand gegen diese Entwicklung gab es unter dem Druck des Bürgerkrieges wenig, doch er mußte ausbrechen, sobald der Bürgerkrieg zu Ende war.

In den Gewerkschaftsdiskussionen der Jahre 1920/21, vor allem in der Position der "Arbeiter-opposition", machten sich Bestrebungen nach Arbeiterselbstverwaltung erneut geltend. Zur gleichen Zeit gingen Streiks in den Petrograder Betrieben auf, gefolgt vom Aufstand der Kronstädter Flote, der eine Erneuerung der revolutionären Sowjetmacht forderte.
Kronstadt wurde diffamiert, die Beteiligung weißer Generäle wurde erfunden, um eine Propaganda entfalten zu können, die verhindern sollte, dass sich Oppositionelle innerhalb der Partei auf die Seite der Kronstädter schlugen. Das Bestreben nach radikaler Erneuerung der Revolution und Verwirklichung der Arbeiterdemokratie wurde als Verrat empfunden. Kronstadt wurde mit Gewalt niedergeschlagen. Ähnlich erging es auch der Ukrainischen Rada-Regierung, welche anti-bolchewistisch gesinnt war. Die Bolchewistische Partei vermochte nicht den Gegensatz zwischen Stadt und Land zu überwinden, während Zwangsrequisitionen und Verhaftungen an der Tages-ordnung waren. Gerade die Zerschlagung der weißen Armeen während des Bürgerkrieges im Südwesten der Sowjetunion war im wesentlichen ein Verdienst der Arbeiter- und Bauernverbände der freien Ukraine. Geschickte Guerillataktiken vermochten materielle und personelle Schwächen auszugleichen, zudem gaben hier die Bauern das her, was andernorts nur mit Gewalt erzwungen werden konnte. Diese Bauern wurden jetzt ebenfalls verfolgt und deportiert.
Nach ähnlichen Diffamierungskampagnen wie bei Kronstadt wurde 1921/ 22 auch die militärische Liquidierung der Ukraine durchgeführt. Die "Arbeiteroppositionen" beugten sich jetzt freiwillig dem Fraktionsverbot. Von 1921 bis 1923 gab es mit der "Arbeiterwahrheit" und "Arbeitergruppe" noch einmal Parteiorganisationen, die die Einbeziehung der Massen in den sozialistischen Transformationsprozeß verlangten, beide wurden jedoch zerschlagen. Spätestens nach 1923 kann von einer sozialistischen Massenbewegung in der Sowjetunion keine Rede mehr sein. 1922 waren Gewerkschaften aus der Leitung der Industriebetriebe endgültig entfernt worden. Streiks, die es in abnehmender Zahl auch noch nach 1923 gab, wurden als Sabotage am sozialistischen Aufbau angesehen. Die Arbeiter waren demoralisiert und zudem unter ein System polizeilicher Aufsicht gestellt, das jede Opposition im Keim zerschlagen konnte.


Wie erging es nun der Wirtschaft des jungen Sowjetstaates?
Auch witschaftlich wurde den Arbeitern und Bauern zugesetzt. 1921 restaurierte Lenin den "Privatkapitalismus", was unweigerlich z.B. die Bildung eines kapitalistischen Mittelstandes in Stadt und Land zu Folge hatte.
Die "neue ökonomische Politik" (NEP) brachte zwar kurzfristig einen Wirtschaftsaufschwung, bedeutete aber die Gefährdung der sozialistischen Ansätze. Der "Kriegkommunismus" mit seinen Zwangsrequisitionen, Hungersnöten und Kommissarsterror hatte zur großen Unzufriedenheit vor allem der bäuerlichen Bevölkerung geführt. Selbst Lenin erkannte offensichtlich einige grundlegende Mängel, reagierte jedoch im allgemeinen hilflos, kurz vor seinem Tod richtete er einen fast verzweifelten Appell an die Partei: "Unser Sowjetbürokratismus, Folge des Kriegskommunismus, gleicht, wie ein Haar dem anderen gleicht, dem zaristischen Bürokratismus. Wenn es uns nicht gelingt, unseren Bürokratismus mit Stumpf und Stiel auszurotten, sind wir verloren. Der Bürokratismus hat sich wie in ein Krebsgeschwür entwickelt, vom Kopf der Regierung bis in die reinsten Verästelungen der Partei und des Staates..."

Zusammenfassend lässt sich sicherlich sagen, dass die Massen durch die fortschreitende Bürokratisierung eher entmutigt und verschreckt wurden und die Zusammenarbeit mit dem Staat negierten. Der junge Sowjetstaat erkannte sehr bald, dass die Massen sich ihm abwendeten oder zumindest indifferent waren und reagierte mit eiserner Härte gegen jegliche Opposition. Unter der Negierung des Prinzips der freien Räte entwickelte sich alsbald eine Parteidiktatur. Die Kontrolle über bürokratische Entwicklungen blieb damit parteiimmanent und hob sich damit selbst auf.


Nachdem eine linksrevolutionäre Massenbewegung nicht mehr zu fürchten war, begannen die parteiinternen Auseinandersetzungen, sie gewannen den Charakter von von ihrer Basis losgelösten Privatkämpfen, der Weg zum Massenterror war frei, dem sogar die gesamte "alte Garde" der bolchewistischen Partei zum Opfer fiel.

                                                                                             

Nach dem Kurswechsel auf dem  X. Parteitag und dem Beginn der neuen Wirtschaftspolitik wurde es deutlich, dass Lenin ein schwerkranker Mann war. Obwohl erst 51. Jahre alt, zeigten sich bei ihm Symptome der Gehirnsklerose. Ende des Jahres 1921 verschlimmerte sich sein Gesundheits-zustand; trotzdem hielt er, wie üblich, auf dem XI. Parteitag im März 1922 das Hauptreferat, in dem er die Ergebnisse des NEP darlegte. Dann aber erlitt er am 26. Mai einen Schlaganfall. Zwei Monate lang war er nicht imstande, sich zu bewegen, zu sprechen oder zu schreiben. Erst im Oktober kehrte er in den Kreml zurück und nahm seine Arbeit wieder auf.
Gegen Mitte Dezember trat eine erneute Verschlechterung seines Zustandes ein. Er mußte auf die Teilnahme an Konferenzen verzichten, wenn er auch schriftlich und fernmündlich noch die Verbindung zu den leitenden Instanzen aufrecht erhielt. Seine Frau Nadezda Krupskaja und seine Schwester Maria Uljanova besorgten die Pflege. Um die Jahreswende diktierte Lenin sein sogenanntes Testament, das heißt die letzten Ratschläge für die Zusammenstellung der Partei-führung nach seinem Tode.
Im März 1923 ereilte ihn der dritte Schlaganfall. Zum ersten Male mußte der Parteitag, es war der XII, im April ohne ihn abgehalten werden. Noch einmal schleppte er sich im Oktober in seine Diensträume im Kreml. Dann begab er sich wieder in sein Landhaus in Gorki bei Moskau. Hier ist er am 21. Januar 1924 gestorben.

Nach Lenins Tod leitete offiziel die "kollektive Führung" des Politbüros die Amtsgeschäfte des Staates. Die faktische Nachfolge aber trat nach und nach ein Dreimännerkollegium an, eine Troika, bestehend aus Zinoviev, Kamenev und Stalin.
Es war ein erstaunlich einfaches Bündnis, denn es bestand allein aus der Vereinbarung, unisono abzustimmen. Ohne Lenin zählte das Politbüro sechs Mitglieder; Die Troika brauchte also nur eine einzige andere Stimme um seinen Willen durchsetzten zu können. Diese Allianz hatte außerdem den Vorteil, dass sie so lange geheim blieb, bis sie auseinanderfiel. Das Bündnis richtete sich natürlich gegen Trotzki, der immer noch als die bedeutendste Persönlichkeit der Partei nach Lenin galt und über eine ungeheuer große Anhängerschaft verfügte.
Stalin hatte Lenin nie sonderlich nahegestanden. Er gehörte nie zum engeren Freundeskreis; Zinoviev, Kamenev, Bucharin, selbst Trotzki waren ihm vertrauter. Lenins wachsendes Mißtrauen gegen Stalin, das sich fortlaufend steigerte machte sich immer mehr deutlich.
Stalin hatte es aber verstanden, seine Stellung fortschreitend auszubauen. Zu dem Amt des
Nationalitätenkommissars, das er bis zur Auflösung des Kommissariats im Jahre 1923 bekleidete, war 1919 das eines Kommissars der Arbeiter- und Bauerninspektion getreten. Dessen Aufgabe bestand darin, den gesamten Staatsapparat zu überwachen, um die beiden Hauptfehler, Unfähigkeit und Korruption, auszurotten. Diese oberste Staatskontrolle brachte es mit der Zeit mit sich, dass Stalin in sämtliche Dienststellen der Verwaltungszweige hineinblicken konnte. Sie verfolgte aber zugleich auch einen weiteren Zweck: die Heranbildung einer zuverlässigen und brauchbaren Beamtenschaft. Das neue Kommissariat wurde zur eigentlichen Brutstätte für die Entstehung des später allmächtigen "Apparates" der Partei.
Neben diesen staatlichen Ämtern hatte Stalin es nach und nach verstanden, in alle Schlüssel-stellungen der Partei Eingang zu finden. Seit 1912 war er Mitglied des Zentralkomitees, seit 1917 des Politbüros. Neben dem Politbüro wuchs die Bedeutung des Organisationsbüros (OrgBüro); von hier aus wurden die Parteifunktionäre in alle zivilen und militärischen Stellen entsandt. Zu Beginn des Jahres 1919 war Stalin der einzige Verbindungsmann zwischen Politbüro und OrgBüro. Von hier aus sorgte er für die Übereinstimmung zwischen Parteipolitik und Organisation, von hier aus dirigierte er die Kräfte der Partei, gewann zunehmende Personalkenntnis, Routine und Bedeutung.
Auf dem XI. Parteikongreß im Jahre 1922 wurde ein neues, erweitertes Zentralkomitee gewählt und mit neuen Satzungen versehen; gleichzeitig beschloß man, das Amt eines Generalsekretärs der Partei zu schaffen. Am 3. April 1922 wurde Stalin dazu ernannt. Lenin nahm die von Zinoviev unterstützte Kandidatur mit Skepsis auf. Laut Trotzki soll er im privaten Gespräch gesagt haben: "Dieser georgische Koch wird uns nur scharfe Suppen kochen". Aber er widersprach der Kandidatur nicht. Zu Stalins Gehilfen wurden V.M. Molotov und V.V Kuibyshev bestimmt.

Vyacheslav Mikhailovich Molotov (Skryabin)Valerian Vladimirovich KuibyshevMikhail Pavlovich Tomsky (Yefremov)Aleksej Ivanovich Rykov
  Vyacheslav M. Molotov  Valerian V. Kuybishev  Mikchail P. Tomskij    Aleksej. I. Rykov


Man kann wohl sagen, dass von da an das Politbüro, zu dem jetzt auch Zinoviev, Tomskyj, und Rykov gehörten, das Gehirn des Bolchewismus darstellte, das Büro des Generalsekretärs aber immer mehr zur Zentrale der realen Macht der Verwaltung wurde.
Das Generalsekretariat wurde nach und nach zum eigentlich ausführenden Organ des Politbüros, es konnte von sich aus aber nicht nur die Ausführung beeinflussen, sondern durch Ausarbeitung der Tagesordnung für die Sitzungen des Politbüros und die Beschaffung von Unterlagen und dessen Entscheidungen.
Hinzu kam noch eine wichtige Tatsache: Auf dem X. Parteikongreß im Jahre 1921 war eine oberste Kontrollkommission zur Überwachung der Parteimoral geschaffen worden, ein Organ, das der Arbeiter- und Bauerninspektion auf dem staatlichen Sektor entsprach. Die Hauptaufgabe der Kommission bestand in der Durchführung der jeweils notwendigen Säuberung in der Partei. Diese waren zunächst noch vollkommen harmlos. Sie bedeuteten einen Tadel oder schlimmstenfalls den Ausschluß aus der Partei. Die Zentralkommission in Moskau wurde zur obersten Berufungsinstanz für alle Säuberungsaktionen im Lande. Sie sollte an sich vollkommen unabhängig von den hohen Parteiinstanzen sein. Aber das Generalsekretariat wurde mit der Zeit zu einem Verbindungsglied zwischen Zentralkommission und Zentralkomitee bzw. Politbüro. So hatte Stalin es in der Hand, auf die Säuberungen Einfluß zu nehmen. Eine sorgfältig geführte Kartei gab ihm hierzu die nötigen Unterlagen.

Niemand in der Parteiführung neidete ihm seine Posten und Ämter. Diese waren alle solcher Art, dass ihre Aufgaben die hochbegabten Intellektuellen unter den Mitgliedern des Politbüros nicht reizen konnten. Was man hier, in der täglichen Kleinarbeit des Parteidienstes brauchte, war eine konsequente, zähe und dabei fantasielose Routinearbeit, ein "geduldiges und beharrliches Interesse für die kleinsten Organisationsfragen". 5 Niemand ahnte zunächst, dass Stalin im Begriff war, sich aus dem subalternen Funktionär des inneren Parteidienstes durch Beharrlichkeit, Intrige und Brutalität zum eigentlichen Nachfolger Lenins aufzuschwingen.

Zum erstenmal erwachte Lenins Mißmut über die wachsende Mächtigkeit des inneren Parteiapparats im Oktober 1922, zwischen der ersten und zweiten Phase seiner Krankheit. Er zeigte sich über das erschreckende Anwachsen des Bürokratismus im Staatsapparat besorgt. Am 24. Dezember diktierte Lenin sein sog. Testament in Form eines Briefes an den XII. Parteikongreß. Er ging von der Befürchtung aus, dass der Bolchewismus sich spalten könnte wegen möglicher Meinungsverschiedenheiten im Politbüro. Und nun ging er zu einer Beurteilung seiner möglichen Nachfolger über. Trotzki sei unzweifelhaft der fähigste Kopf im Zentralkomitee, aber er habe ein viel zu weit gehendes Selbstvertrauen. Lenin deutete an, dass Trotzki sich zu stark individualistischen Neigungen hingebe und zu wenig Unterordnung unter die Gesamtdisziplin der Partei kenne.
Über Stalin hieß es wörtlich: "Seitdem Genosse Stalin Generalsekretär geworden ist, vereinigt er in seiner Hand eine ungeheure Macht, und ich bin nicht davon überzeugt, dass er diese Macht immer mit der gebotenen Vorsicht zu nützen wissen wird".
Bei Zinovev und Kamenev erinerte ein kurzer Hinweis an die mangelnde Entschlußkraft, die sie im Oktober an den Tag gelegt hatten; von den übrigen Parteispitzen wurden N.I. Bucharin als der "Favorit der ganzen Partei" und der geschätzte Theoretiker, G.L. Pjatakov als sehr befähigt, aber nicht ganz zuverlässig charakterisiert.
Die Niederschrift macht den Eindruck locker hingeworfener Gedanken, die später in eine präzisere Form gebracht werden sollten. Eine konkrete Aussage über die Nachfolge war im Testament nicht enthalten. Am zweckmäßigsten erschien es ihm wohl, ein kollektives Parteigremium der alten Bolchewisten zu erhalten, welches sowohl Stalin Zügel anlegen konnte, als auch Trotzki in Schach halten konnte und ihren Gegensatz zu neutralisieren imstande war.
Am 4. Januar 1923 ließ Lenin dem Testament einen Nachsatz hinzufügen, der ausschließlich Stalin betraf. "Stalin", hieß es jetzt, "ist zu schroff, und dieser Fehler ...ist dem Amt des Generalsekretärs untragbar. Deshalb schlage ich den Genossen vor, einen Weg zu suchen, um Stalin von diesem Posten zu entfernen und einen Nachfolger für ihn zu ernennen ..."
Der unmittelbare Anlaß für diese Steigerung der Skepsis Stalin gegenüber ist in Stalins schroffem Verhalten in der georgischen Frage zu suchen, über das Lenin gerade um die Jahreswende neues Material erfahren hatte.

Wie oben schon berichtet bildete sich langsam ein Dreiergespann hinsichtlich der Führung im Staat. Lev Kamenev ( der mit Trotzkis jüngerer Schwester Olga verheiratet war ) hatte schon während der Krankheit Lenins den Vorsitz im Politbüro übernommen. Zweifellos stand er Lenin von allen älteren Kampfgefährten am nächsten. Ihn hatte Lenin vor seinem Tode damit beauftragt, seine Schriften herauszugeben. Er war vielleicht der intelligenteste Kopf unter ihnen, der eigentliche Stratege des Parteikampfes, gut geschult in allen Fragen der Doktrin. Als Parteisekretär von Moskau hatte er die Parteiorganisation der Hauptsatdt hinter sich. Zwischen ihm un G. Zinoviev bestanden sehr enge Bande. Zinoviev galt als der gewandte Redner und Demagoge, der die Massen anzusprechen wußte. Als Parteisekretär von Leningrad hatte auch er seine "Hausmacht" hinter sich. Nach außen hin, in den Kreisen des Welt-kommunismus, war er die populärste Erscheinung unter den russischen Parteiführern; seine Stellung als Vorsitzender der Komintern gab ihm auch in der Sowjetunion eine zusätzliche Autorität.
Stalin hielt sich zunächst geschickt im Hintergrund. Nach außen hatte er während Lenins Krankheit eine devote Ergebenheit zur Schau getragen. Mit Bedacht ging er daran, die Differenzen mit Lenin sorgfältig verschleiernd, seine Position Schritt für Schritt auszubauen. Die Zentrale Kontroll-kommission wurde mit der Arbeiter- und Bauerninspektion zusammengelegt und von V.V Kuybishev geleitet, einen Stalin treu ergebenen Leiter. Die Zahl dieses Gremiums wurde von 7 auf 50 und 10 Kandidaten erhöht. Damit war eine Entwicklung eingeleitet, die die Kommission nach und nach in eine gefährliche Nähe zur GPU ( Vorgänger des KGB ) rückte, um schließlich zu einer Art Sonder-abteilung der Staatssicherheit zu werden.

Gegen Ende des Jahres 1923 zeigten sich im ganzen Lande bedrohliche Symptome des Zerfalls der obersten Autorität. Es flackerten Streiks in der Industrie auf, illegal wie jeder Streik in der Sowjetunion. Unterernährung und niedrige Löhne trieben die Arbeiter zur Verzweiflung. Als die Gewerkschaften sich weigerten, als Mittler zu fungieren, machte sich die Unzufriedenheit spontan Luft. Die Oppositionsgruppen des X. Parteitages erhoben aufs neue ihr Haupt und forderten größere Freiheit der Meinungsäußerung in der Partei.
An diesem Punkt trat Trotzki zum erstenmal in Aktion. Er griff das Triumvirat, die sogenannte Trojka, direkt an und tadelte die wachsende Bürokratisierung des Parteiapparates. Weshalb würden die meisten Parteisekretäre nicht mehr gewählt, sondern von oben bestellt? Die seinerzeit im Bürgerkrieg notwendige Disziplin müsse jetzt einer freieren Verantwortlichkeit innerhalb der Partei weichen. Trotzkis Vorstoß löste eine bedeutsame Erklärung von 46 prominenten Kommunisten aus, darunter Pjatakov, Preobrazenskij, Antonov-Ovseenko, Muralov und andere. Die Politik des Zentralkomitees, hieß es, sei verfehlt und führe das Land dem Untergang entgegen.
Die Trojka sah sich genötigt, einzulenken. Sie brachten einen Antrag ein, der eine demokratische Parteireform vorsah; er wurde vom Politbüro einstimmig angenommen. In aller Öffentlichkeit sollten nun die aufgeworfenen Fragen diskutiert werden. Sehr geschickt sprach Stalin im Dezember 1923 zu den Arbeitern von Krasnaja Presnja, einem Industrieviertel in Moskau. Er erweckte den Eindruck, dass er zum größten Teil mit den Forderungen Trotzkis einverstanden und mit ihm einig sei.  In Wirklichkeit forderte er ihn mit seiner Rede heraus, sich noch etwas weiter vorzuwagen. Trotzki tat das auch tatsächlich in einem offenen Brief an die Arbeiter desselben Stadtteils. Einige Genossen schienen, schrieb er, die Bedeutung des Parteiapparats zu überschätzen und das Eigenleben der Partei zu gering zu achten. Gewiß könne man nicht auf die zentrale Leitung verzichten, aber die Partei müsse sich den Apparat unterordnen. Obendrauf wies er, sich zur Jugend wendend,  darauf hin, dass nicht selten alte Kämpfer der Revolution zu Bürokraten würden. So sei es der Sozial-demokratie im Westen ergangen, so könne es auch den Bolchewisten ergehen.

Der offfene Kampf war damit eröffnet. Zinoviev war empört und forderte, impulsiv wie immer, Trotzkis Verhaftung. Stalin widersetzte sich dem. Man mußte mit einer immer noch unbestreitbaren Popularität Trotzkis rechnen. Er schlug eine Parteikonferenz für den 16. - 18. Januar 1924 vor, auf der die aufgeworfenen Fragen durchgesprochen werden sollten. Hier trat Stalin offen Trotzki entgegen. Er varlas eine Liste von "sechs Irrtümern" Trotzkis. (2) Die schwerwiegendsten waren: er reize die Partei gegen den Parteiapparat, die Jugend gegen die Partei auf; er mache sich, obwohl Mitglied des Politbüros, zum Sprecher der Opposition, der "kleinbürgerlichen Intelligenz". Die Partei müsse aus einem Guß sein, sie müsse eine monolithische Partei sein!  Die Konferenz endete mit einer Verurteilung der Angriffe als einer "kleinbürgerlichen Abweichung vom Leninismus" und mit dem Beschluß, dass das Zentralkomittee auch seine eigenen Mitglieder, sofern sie die Partei schädigten, aus der Partei ausschließen dürfe. Das waren bedeutungsvolle Vorboten kommender schwerwiegender Auseinandersetzungen. Mittlerweile ging die Trojka in zwei verschiedenen Richtungen daran, die Stellung Trotzkis und der Opposition zu schwächen. Eine Reihe von Anhängern Trotzkis waren schon zuvor auf diplomatische Posten ins Ausland abgeschoben worden: C. Rakovskij befand sich in England, N.N. Krestinskij in Deutschland, A. Joffe in China. Von besonderer Bedeutung war die Entfernung von Rakovskij aus der Ukraine, wo er Vorsitzender des Rates der Volkskommissare gewesen war. Da das Land als einer der Hauptstützpunkte der Opposition galt, sollte hier scharf zugegriffen werden. Einer der engsten Vertrauten Stalins Lazar´ Moisevitsh Kaganovitsh, erhielt den Auftrag, hier eine Säuberung vorzunehmen. Trotzki hatte an der Januarkonferenz gar nicht teilgenommen. Er hatte sich auf der Entenjagd eine Influenza zugezogen, die nun bösartige fieberhafte Folgen zeigte und ihn varanlaßte, am 18. Januar nach dem Süden abzureisen. Die Erklärung für diese erstaunliche Tatsache - der Tod Lenins mußte von einer Woche zur anderen erwartet werden - liegt warscheinlich darin, dass Trotzki jeden Anschein, er wolle nach dem Tode Lenins die Macht ergreifen, vermeiden wollte. Stolz und Eigendünkel ließen ihn in dem Glauben, dass die Partei ihn, der Machtkämpfe innerhalb des Politbüros müde, ohnehin zur Leitung berufen würde und es daher angemessen sei, sich zurückzuhalten.
Bei Lenins Beisetzung war Trotzki abwesend, weil Stalin ihm einen falschen Termin für die Feierlichkeit angegeben und er Moskau vom Kaukasus her nicht mehr rechtzeitig erreichen konnte. So wurde Stalin zur beherschenden Zentralgestalt der Feiern. Der Treueid, "der große Schwur", den er am 26. Januar auf dem II. Sowjetkongreß verlaß, ist ein feierliches Gelöbnis, mit dem der Leninkult der nachfolgenden Zeit eröffnet wurde. Zwei Tage darauf hielt Stalin die große Rede auf der offiziellen Gedächtnisfeier, durch die er sich geschickt als den geistigen Sachwalter und authentischen Interpreten von Lenins geistigem Erbe vorzustellen wußte.

Nach dem Tode Lenins wurde folgende Umbesetzung seiner Ämter vorgenommen. Vorsitzender des Rates der Volkskommissare der UdSSR wurde nicht etwa Zinoviev oder Kamenev, sondern A. I. Rykov, eine der blassesten Erscheinungen der Partei. Sein Stellvertreter wurde Kamenev. Die einzelnen Kommissariate blieben zunächst unter der bisherigen Leitung. Im Mai 1924 kam es auf einer Sitzung des Zentralkomitees zu einer peinlichen Szene anläßlich der Verlesung von Lenins Testament. Es war zu entscheiden, ob dieses Dokument dem bevorstehenden Parteikongreß unterbreitet werden sollte oder nicht. Nach dem Bericht eines Augenzeugen (3) breitete sich im Versammlungsraum tödliche Verlegenheit aus, als der Passus über Stalin verlesen wurde. Stalin selbst beherrschte sich ausgezeichnet und blieb ruhig. Gerettet wurde die Situation zu Stalins Gunsten durch Zinoviev. Jedes Wort von Lenin, sagte er, sei Gesetz; das Gelöbnis, alles zu erfüllen, was er geboten, werde gehalten werden. Glücklicherweise könne man aber feststellen, dass die Befürchtungen Lenins in einem Punkte grundlos seien. Die Zusammenarbeit mit Stalin, das könnten alle bezeugen, sei vollkommen harmonisch verlaufen. Kamenev beschwor das Zentralkomitee, Stalin im Amte zu lassen. In diesem Falle konnte aber das Testament nicht veröffentlicht werden! Trotzki, der wieder in Moskau war, schwieg. Lenins Witwe protestierte vergeblich gegen die Unterdrückung des letzten Willens ihres Gatten.

Mit 30 zu 10 Stimmen wurde der Antrag angenommen, das Testament nur vertraulich den Bezirksdelegierten zur Kenntnis zu bringen. Auf dem XII. Parteitag im Mai 1924 schien Trotzki bereits zu resignieren und der Opposition abzuschwören. Aber Zinovev überspannte den Bogen und verlangte, dass er nicht nur auf weiter Kritik verzichten, sondern auch zugeben sollte, in der bisherigen Kritik gefehlt zu haben! Trotzki gab eine nicht ganz befriedigende Erklärung ab. Die Partei, sagte er, habe letzten Endes immer recht. Dass seine Kritik ein Irrtum gewesen sei, könne er aber nicht zugeben.


Trotzki war noch keineswegs gewillt zu kapitulieren. Im Herbst des Jahres eröffnete er einen zweiten Feldzug  gegen das Triumvirat. Schon eine Anfang 1924 erschienene Broschüre "Der neue Kurs" hatte das Thema der verlorenen Parteidemokratie aufgegriffen. Er hielt an der Totalität der einen Partei fest. Aber es sei unsinnig, die Partei als eine geschlossene, immer gleichbleibende Einheit zu betrachten. Wenn sie 1917 eine kleine Elite darstellte, so sei sie jetzt zu einer Massenpartei geworden; das zwinge zu einer neuen undogmatischen Überprüfung ihrer Rolle im Staat. Weiterhin machte er nun den den Versuch, die Situation der deutschen Kommunisten von 1923 mit der der russischen im Jahre 1917 zu vergleichen; hierbei stellte er indirekt Zinoviev und Kamenev als die furchtsamen Zaudrer heraus, die damals bereit waren, die Stunde zu verpassen.
Die Polemik, die nun einsetzte war vehement. Sowohl die beiden von Trotzki Angegriffenen, als auch er selbst, verloren bei den Massen der Partei an Ansehen. Der gewinnende Teil dieser Fehde war unzweifelhaft Stalin. Er trat jetzt für seine beiden Genossen ein und versuchte gleichzeitig zum ersten Mal, Trotzkis Rolle bei der Oktoberrevolution zu verkleinern. Während dieser Zeit, entwickelt Stalin seine Konzeption vom "Sozialismus in einem Lande". Durch eine Kette von Mißerfolen der Kominternpolitik begann Zinovievs Ansehen sehr stark zu sinken. Stalins Auftreten auf Kongreßen ist zu diesem Zeitpunkt immer noch sehr verstohlen und schweigsam. Noch immer repräsentiert Trotzki eine Macht im Lande, nicht nur durch seine Stellung als Kriegskommissar sondern auch durch die Erfolge während des Bürgerkrieges und dank seiner Autorität innerhalb der jungen Generation.

Es gelang Stalin, Trotzki am 17.Januar 1925 zum Rücktritt vom Posten des Kriegskommissars zu bewegen. Trotzki machte nicht den geringsten Versuch, dagegen aufzubegehren und die Armee zum Wiserstand aufzurufen. Er widmete seine Arbeitskraft widerspruchslos kleinen wirtschaftspolitischen Aufgaben, die ihm der Generalsekretär zuwies. Er blieb weiterhin Mitglied des Politbüros, vermied jetzt aber jede öffentliche Auseinandersetzung. War es Resignation, war es Parteidisziplin, dass er sich einer bonapartistischen Lösung versagte?
Trotzki ist nie hoher Meinung über Stalin gewesen, er neigte dazu ihn zu unterschätzen. In seiner Autobiographie berichtet er übe ein Gespräch mit einem Parteigenossen im Jahre 1925, in dem er Stalin "die hervorragendste Mittelmäßigkeit der Partei" nannte. (4)
Mit Resignation alleine ist Trotzkis Verzicht auf Widerstand nicht zu erklären. Er hatte sich in den Netzen seines materialistischen Determinismus gefangen; der geistvolle Ideologe und Analytiker war zum Revolutionär geboren, nicht zum Diktator. Im Laufe des Jahres 1925 bestand das Politbüro immer noch aus den großen Sieben der Partei:
Kamenev, Trotzki, Zinoviev, Stalin, Bucharin, Rykov und Tomskij. Trotzki trat jetzt mehr und mehr in den Hintergrund, begann sich von seinen Partnern zu lösen, verzichtete darauf, sich mit ihnen zu beraten und über Maßnahmen zu verständigen.

Stalins These vom Sozialismus in einem Lande war eine Antwort auf Trotzkis frühere Theorie von der "permanenten Revolution". Er erkannte, dass die Massen mit einer These wie Trotzkis permanenter Revolution auf die Dauer irre an der Idee werden mußten, wenn die Weltrevolution in unabsehbare Ferne rückte. Auch die Partei konnte des ewigen Wartens müde werden. Sollte das Schicksal der russischen Revolution von der Lage des Kommunismus im Ausland abhängen? Sollte man sich nicht vorerst mit dem Aufbau einer russischen sozialistischen Gesellschaft begnügen? Das waren konkrete, wirklichkeitsnahe Ziele, mit denen man die Jungkommunisten der zwanziger, dreißiger Jahre eher faszinieren konnte als mit den weltweiten Perspektiven der ideologisch gesättigten Rhetorik der großen Theoretiker.

In der Polemik mit Trotzki und im Kampf der Meinungen um Stalins neue These kam es gegen Ende des Jahres 1925 zu einer neuen Gruppierung innerhalb der Parteiführung. Man konnte schließlich einen rechten Flügel mit Rykov, Bucharin und Tomskij und einen linken mit Kamenev und Zinoviev unterscheiden.
Die Linke war durch einen ausgeprägten Internationalismus und durch einen Hang zur ideologischen Betrachtung der Politik gekennzeichnet, während die Rechte sich zur These vom Sozialismus in einem Lande bekannte und an die Dinge von der Praxis herantrat. Überraschend dabei war, dass Bucharin, der "stärkste Theoretiker der Partei", jetzt eine realistischere Politik befürwortete.  Zu Rykov, dem Regierungschef, und Tomskij, dem Leiter der Gewerkschaften, ergaben sich für Stalin aus der praktischen Verwaltungsarbeit eine Fülle von Berührungen. Sie garantierten eine gewisse Gemeinsamkeit der Sprache. Trotzdem suchte Stalin jedoch seine Position auch ihnen gegenüber laufend zu verstärken. Er tat es, indem er treu ergebene Parteigenossen, auf die er sich verlassen konnte, zu den Spitzenämtern hinzuzog. Im Dezember 1925 wurden Molotov, Voroshilov, und Kalinin ins Politbüro gewählt, das somit neun Mitglieder zählte.So entstand innerhalb dieses Führungsgremiums ein spezielles stalinistisches Zentrum. Sachlich wurde die Bauernfrage zum wichtigsten Problem, an dem sich die Geister schieden. Die Bauern verlangten ein größeres Angebot billiger Verbrauchsartikel und erwarteten für Ihre eigenen Produkte faire Preise zu erzielen. Die Industrie kam nur langsam zum Anlaufen, produzierte wenig und zu hohen Preisen, verlangte aber billige Lebensmittel und billige Rohstoffe. Diesen Antagonismus wollte Bucharin durch ein größeres Entgegenkommen den bäuerlichen Wünschen gegenüber lösen. Durch Zugeständnisse auf diesem Sektor sollte der Bauer den Anreiz bekommen, mehr Lebensmittel zu produzieren und auf den Markt zu werfen. Die Linke wollte aus der Sackgasse der NEP herausfinden, indem sie den Hebel genau am andren Ende ansetzte. Sie verlangte eine beschleunigte Industrialisierung. Durch eine Steigerung ihrer Produktion würde, meinte man hier, auch der agrarische Sektor belebt werden. Das Land sei durch eine chronische Ernährungskrise bedroht. Statt Großbauernhöfe sollte man Kollektivfarmen schaffen.
Für Stalin standen die Debatten und Meinungsverschiedenheiten um dieses kardinale Wirtschafts-problem, die von 1925 bis 1926 die Gemüter immer heftiger bewegten, nicht im Zentrum seiner Politik.

Sie waren für ihn letzten Endes nur Begleiterscheinungen, der Schwerpunkt lag für ihn beim Problem der Macht. Er hielt es mit der Rechten, aber ohne Bucharins kühner Agrarpolitik in allem zu folgen; die Kulaken ( in Sowjetrussland ein Großbauer - nach westeuropäischen Begriffen noch immer Kleinproduzent ) hatten nach wie vor in seinen Augen keine Gnade zu erwarten. Er hielt es zunächst mit der Rechten aus Überlegungen, die nicht wirtschafts-,  sondern machtpolitischen Überlegungen entstammten. Immer mehr versuchte er den Eindruck zu erwecken, als würde er nichts anderes als die Meinung Lenins represäntieren.
Der XIV. Parteitag im Dezember 1925 brachte den entscheidenden Zusammenstoß mit der Gruppe Zinoviev. Der Kongreß war mehrfach vertagt worden und wurde mit Ungeduld erwartet.  Stalin legte in seinem Bericht im Namen des Zentralkomitees einen Wirtschaftsplan vor, der zum ersten Mal die "Verwandlung der Sowjetunion aus einem Agrarland in ein Industrieland" deutlich als Ziel herausstellte. Er basierte auf seiner These vom Sozialismus in einem Lande und setzte den Aufbau einer Staatsindustrie bedenkenlos mit Sozialisierung gleich. Zinovievs und Kamenevs Proteste gegen diese Verquickung und ihr unerschrockenes Auftreten gegen die Eigenmächtigkeit des Generalsekretärs lösten einen scharfen Gegenangriff Stalins aus, der sie als "Streikbrecher  der Oktoberrevolution" zu diskreditieren suchte. Beide Seiten bemühten sich, ihre Argumente sorgfältig mit Leninzitaten zu untermauern. Die Leningrader Parteimitglieder standen um ihren Parteisekretär Sinoviev geschart. Auch Kamenev hatte seine Gefolgschaft, aber sie waren insgesamt doch in der Minderheit. Als Kamenev sein Mißtrauensvotum gegen Stalin aussprach, erhob sich die Mehrheit der Versammlung und brach in Hochrufe auf die Partei aus, in die sich schon einzelne Stimmen: "Es lebe Stalin" mischten. Mit 459 Stimmen gegen 65 stimmte der Parteitag, bei 41 Enthaltungen, der politischen Platform Stalins und Bucharins zu. Zinoviev und Kamenev waren nicht durchgedrungen. Viele ihrer Leningrader und Moskauer Parteigenossen hatten es nicht gewagt, für die Opposition zu stimmen.    
Die erste Maßnahme Stalins nach dem Kongreß war die, dass er Zinovievs Stellung als Parteisekretär von Leningrad zu untergraben suchte. Er schickte zu diesem Zweck eine Delegation unter Leitung von Molotov, die massive Propaganda für Sergej Mironovitsh Kirov betrieb, nach Leningrad. Kirov war Parteisekretär von Baku gewesen, gelegentlich zu Sonderaktionen des Zentralkomitees benutzt worden und hatte sich als energischer Organisator und befähigter Redner erwiesen. Ihm gelang es schnell, Vertrauen zu gewinnen und die oppositionelle Stimmung in Leningrad zu lockern; 1926 wurde er an Stelle von Zinoviev zum Parteisekretär von Leningrad gewählt. Für Zinoviev und Kamenev blieb nun keine andere Möglichkeit mehr, als sich mit Trotzki zu verbinden. Stalin war es ein leichtes sie in der Öffentlichkeit dadurch zu diskreditieren, dass er ihre gegenseitigen Angriffe der letzten Jahre erneut publik machte. Zinoviev und Kamenev machten sich über die rücksichtslose Zielstrebigkeit von Stalins Machtstreben keine Illusionen. Wohl aber täuschten sie sich, wenn sie ihrer Trojka mit Trotzki ein gleichwertiges Gegengewicht gegen das "stalinistische Zentrum" sahen. Kamenev meinte, wenn Trotzki mit Zinoviev zusammen auf der Rednertribüne erscheine, sei die ganze Parteimit einem Schlage gewonnen. Trotzki selbst war bedeutend skeptischer. Die Machtstellung Stalins hatte bereits eine Steigerung erfahren, die selbst die Krupskaja ( Lenins Frau) veranlaßte festzustellen, wenn Lenin noch lebte, würde er wohl von Stalin verhaftet werden. Nichtsdestoweniger schien Trotzki nach einem Kuraufenthalt in Deutschland etwas von seiner früheren Kampflust zurückgewonnen zu haben.

Noch gab Trotzki nicht die Hoffnung auf, in Kreisen der Roten Armee Sympathien zu genießen. Heimlich hielt er mit anderen Oppositionsführern Besprechungen ab, Pläne für eine militärische Aktion gegen Stalin wurden in Augenschein genommen, indem man Oppositionskerne unter den Offizieren zu bilden versuchte. Man kann Trotzki glauben, dass er keinen direkten Staatsstreich gegen Stalin geplant hat; aber er wollte für den Fall, dass es der neuen Trojka gelingen sollte, die Mehrheit in der Partei zu gewinnen, ein Machtzentrum schaffen, auf das sie sich stützen konnte. Was bei Stalin der Parteiapparat bedeutete, sollte hier die Armee bewirken. Aber vor dem letzten entscheidenden Schlag scheuten die alten Revolutionäre zurück, weil sie glaubten, dass ein ausbrechender neuer Bürgerkrieg über beide Flügel hinweg gegenrevolutionären Kräften zum Siege verhelfen würde. Den Sprung zum Bonapartismus wagte Trotzki nicht, und Zinoviev fehlte hierzu nahezu jede Eignung.
Als im Juli 1926 eine Plenarsitzung des Zentralkomitees stattfand, erschien die Opposition oder, wie sie sich selbst nannte, "der Block", als eine geschlossene Gruppe vor der Parteiführung. In ihrer Kritik beschuldigten sie die Führung, dass die Position der Arbeiterklasse und der Dorfarmen gegenüber den Kulaken, NEP-Leuten und Bürokraten geschwächt sei, und dass die Kräfte, die das Land in kapitalistische Bahnen zurücklenken wollten, begünstigt würden. In der Außenpolitik stellten sie einen Niedergang der internationalen Position der Sowjetunion fest. An Stelle der
laufenden Wirtschaftspolitik verlangte der Block eine gesteigerte Industrialisierung und eine Beteiligung der Arbeiterdurch die Gewerkschaften an der Betriebsführung. Es war eine unmißverständliche Kampfansage gegen die monopolitische Kontrolle der Sowjetindustrie seitens des Staates und seiner Partei, gegen die Entartung der Arbeiterpartei zu einer Staatspartei.

Für Stalin war nun jegliche Veranlassung gegeben, der Opposition das Wasser abzugraben. Gleich nach der Julisitzung wurden perosnelle Veränderungen vorgenommen. Zinoviev wurde aus dem Politbüro entfernt, Kamenev mußte seinen Posten als Außenhandelskommissar an Anastas I. Mikojan, einen armenischen Kampfgefährten Stalins, abtreten. Denoch setzten Trotzki und Genossen in bemerkenswerter Festigkeit ihre Kritik fort. Nun gingen sie dazu über, einzelne Zellensitzungen zu besuchen, um dadurch unmittelbar auf die Arbeiter in den Werken einzuwirken. Der Parteiapparat ergriff Gegenmaßnahmen, delegierte seinerseits Vertreter in die Versammlungen, sorgte für Protestdemonstrationen gegen die Mitglieder der Opposition, für Störungen ihrer Reden, für Bespitzelung aller Zellensitzungen. Schon begannen einzelne Verhaftungen und Verschickungen.
Dann wurde eine Plenarsitzung des Zentralkomitees und der Zentralen Kontrollkommission einberufen. Sie tagte vom 23. bis 26. Oktober und führte zu weiteren Maßnahmen gegen den Block. Trotzki wurde aus dem Politbüro ausgeschlossen, Kamenev verlor seine Stellung als Kandidat des Politbüros, Zinoviev als Vorsitzender der Komintern. Sie blieben aber zunächst noch Mitglieder des Zentralkomitees.
Der Winter 1926/ 27 brachte eine Art Waffenstillstand. Erst im Sommer 1927 lebte der Kampf im Zusammenhang mit einer Reihe von Rückschlägen in der sowjetischen Außenpolitik wieder auf. Ermuntert durch diese Häufung von Mißerfolgen veröffentlichten 84 Führer der Opposition schon im Sommer 1927 Erklärung, die Stalin und seine Gefolgsleute für alle diese Fehlschläge verantwortlich machte. Inmitten der hierüber im Zentralkomitee entbrennenden Debatten kommt der sogenannten Clémenceau-Erklärung Trotzkis eine besondere Bedeutung zu. Es ist anzumerken, dass der Kreml zu der Zeit von der Psychose eines nahe bevorstehenden allgemeinen Krieges gegen die Sowjetunion erfaßt worden war. In diesem Zusammenhang stellte Trotzki fest, er werde im Falle eines solchen Krieges eine ähnliche Stellung einnehmen wie Clèmenceau während der Krise des Jahres 1917 in Frankreich, als er die französische Regierung mangelnder Tatkraft beschuldigte und sich diktatorische Vollmachten erteilen ließ. Im bolchewistischen Sowjetrussland klang das wohl wie Hochverrat. Die Folge war der Ausschluß Trotzkis und Zinovievs aus dem Zentralkomite und am 14. November 1927 sogar aus der Partei. Zwei Tage später setzte ein Terror gegen die Angehörigen der Opposition ein, der sich von Tag zu Tag verstärkte.
Der im Dezember 1927 zusammengetretene XV. Parteikongreß nahm tumultähnliche Formen an. Vergeblich versuchten Kamenev und Rakovskij für das Recht auf Opposition einzutreten. Am 18. Dezember stieß der Kongreß 75 führende Mitglieder der Opposition aus der Partei aus. Trotzki weigerte sich jegliche Forderung des Kongresses nachzukommen und wurde am 17. Januar 1928 gewaltsam nach Alma-Ata in Kasachstan deportiert; von dort wurde er dann in Türkei ausgewiesen und sollte Russland nie wieder sehen. Über Frankreich, Norwegen und Dänemark landete er schließlich in Mexico, wo er von Stalins KGB im Jahre 1940 ermordet wurde.
Zinoviev und Kamenev widerriefen ihre Ansichten und gaben ein Reuebekenntnis ab, um wenigstens in der Partei bleiben zu dürfen. Der Kongreß nahm aber ihren Widerruf nicht an und schickte beide in die Verbannung nach Nordrußland.

Die Zusammenarbeit Stalins mit Rykov, Tomskij und Bucharin hatte für die Dauer des Kampfes mit Trotzki und der Linksopposition Bestand gehabt. Nun brach sie nach der Niederlage der gemeinsamen Gegner sehr bald auseinander - nicht anders, als die Trojka nach dem ersten Kampf gegen Trotzki auch auseinandergefallen war. Rykov, Tomskij und Bucharin selbst waren nach dem XV. Parteikongreß der Meinung, mit ihrem Kurs durchgedrungen zu sein, zumahl sich hier das Schicksal von Trotzki, Zinoviev und Kamenev erwiesen hatte. In der Komintern hatte Bucharin als ihr neuer Vorsitzender die Stelle Zinovievs eingenommen. Im Politbüro, das jetzt aus neun Mitgliedern bestand, glaubten die drei, auch mit den Stimmen Kalinins und Voroshilovs rechnen zu können, so dass Stalin mit seine drei Anhängern - Molotov, und den neu zugewählten Kuibitshev und Rudzutak, in der Minderheit geblieben wäre. In Wirklichkeit waren aber Kalinin und Voroshilov, trotz ihrer bauernfreundlichkeit, gemäßigten Einstellung, Stalin treu ergeben. Hinzu kam, dass von den Anwärtern des Politbüros Kirov, Kaganovitsh, Andreev und Mikojan ebenfalls Anhänger Stalins waren.

Sergej Mironovich Kirov (Kostrikov)Lazar Moiseevich KaganovichAndrej Andreevich AndreevAnastas Ivanovich Mikojan
    Sergej M. Kirov    Lazar M. Kaganovitsh  Andrej A. Andreev    Anastas I. Mikojan

Im Vertrauen auf die Mehrheit begann Stalin, seiner alten Taktik getreu, die Anhänger Bucharins aus den einflußreichen Verwaltungsposten des Staates und der Partei zu entfernen, ohne vorerst noch einen offenen Kampf anzusagen.
Der Kampf entbrannte, als Stalin zu Beginn des Jahres 1928 die Zwangsmaßnahmen gegen die Kulaken verschärfte. Je erbittertere Formen die Kollektivierung annahm, desto sichtbarer wurde der Riß, der sich nun zwischen Stalins Apparat und der Rechtsopposition auftat.
Vom März bis zum Juni 1928 liefen Säuberungsmaßnahmen innerhalb der Partei an, denen alle die Funktionäre zum Opfer fielen, die bei den "Notstandsmaßnahmen" gegen die widerspenstigen Bauern nicht die nötige Härte gezeigt hatten. Bucharin verfolgte versöhnlichere Tendenzen gegenüber den Bauern und Vertretern bürgerlicher Wirtschaftsreformen und war der Meinung, dass der Staat die Bauern nicht einfach mit Gewalt auf seine Seite bringen sollte, sondern durch Gegenleistung.
Nach außen hin wurde zunächst noch der Anschein gewahrt, als sei sich das Politbüro vollständig einig über die neuen Maßnahmen. Diese Fiktion wurde bis zum Ende des Jahres aufrechterhalten bis im Frühjahr 1929 Stalin die Maske fallen ließ und Bucharin öffentlich als den Führer der "Rechtsopposition" bezeichnete. Bucharin selbst war sich des kommenden Unheils mittlerweile bewußt geworden. Zu Beginn der eigentlichen Kontroverse, im Juli 1928, hatte er Verbindung zu Kamenev und Zinoviev in Nordrußland aufzunehmen versucht. Bucharin sprach von Stalin als einen gewissenlosen Intriganten, der seine Überzeugung ständig ändere, nur um sich seines Gegners zu entledigen. (5)
Bucharins Absicht, sich mit der ehemaligen Linksopposition zu einem neuen Bund gegen Stalin zusammenzufinden, war nicht mehr durchführbar. Partei und Volk waren des ewigen Haders in den höchsten Spitzen der Führung, der sich nun schon fünf Jahre lang hinzog, müde. Kamenevs und Sinovievs Popularität war verblaßt, ebenso Trotzkis Stern im Sinken war. Zudem hielt Stalin das ganze politische Leben des Landes in zunehmendem Maße unter Druck. Wer wagte schon jetzt noch offen seine Meinung zu sagen, wo der Apparat der Partei und ihrer Sicherheitsorgane mittlerweile eine Vervollkommung erfahren hatte, die jede Kontrolle des öffentlichen und privaten Lebens ermöglichte? Immer stärker hatte Stalin den Apparat mit seinen Anhängern durchsetzt aber auch immer zahlreicher wurde die Schar der Reumütigen und Opportunisten unter ihnen, und so mancher von den prominenten Trotzkisten und Zinovievisten kehrte wieder aus der Verbannung zurück. Zu ihnen gehörten Radek, Pjatakov, Sokolnikov, Smolga und schließlich auch Zinoviev selbst. Viele von ihnen bildeten sich ein, Stalins Abwendung von der Rechtsopposition und vom bauernfreundlichen Kurs könnte eine erneute Annäherung an den Standpunkt der ehemaligen Linksopposition bedeuten. Sie übersahen die Kluft, die Stalins Industrialisierung und Kulaken-verfolgung von ihren Vorstellungen dieser Dinge trennte.

Bucharin operierte jetzt mit der Theorie vom "Erlöschen des Klassenkampfes" und behauptete, je mehr Erfolge der Sozialismus im Kampf gegen den Kapitalismus aufzuweisen habe, desto mehr werde sich der Klassenkampf mildern, um schließlich ganz zu erlöschen. Eine Offensive gegen das Kulakentum sei daher sinnlos; es werde nach und nach friedlich in den Sozialismus hineinwachsen. Die Rechtsopposition zog aus den verschiedensten Lagern Anhänger an und Anfang 1929 trat sie mit einer Deklaration im Zentralkomitee auf, in der ihre Ideen dargelegt waren. Sie drang damit aber nicht durch und mußte sich eine Verwarnung gefallen lassen. Als daraufhin Rykov, Tomskij und Bucharin ihre Demission einreichten, wurde ihr Schritt als Sabotage hingestellt. Nach anfänglichen politischen Repressalien wurden die drei Parteigenossen im November des Jahres 1929 ihrer Ämter entsetzt, Bucharin wurde aus dem Politbüro ausgeschlossen, Rykov und Tomskij verwarnt. Zum Nachfolger Rykovs als Vorsitzender des Rates der Volkskommissare wurde 1930 V.M. Molotov bestimmt. Der Posten eines Vorsitzenden der Komintern, den zuletzt Bucharin bekleidet hatte, blieb unbesetzt. Zu einem der einflussreichen Funktionäre wurde D.Z. Manuilskij.
Noch vor Ende des Jahres 1929 widerriefen Bucharin, Rykov und Tomskij ihre Irrtümer. Ihnen blieb auf diese Weise zunächst noch die öffentliche Anklage und Verurteilung erspart.  Es war ein Aufschub von neun Jahren, den sie damit erlangten. Einfluß auf die Politik haben sie jedoch seitdem, zeitweise in die Provinz verbannt, nicht mehr nehmen können.
Die Rechtsopposition war ebenso zerschlagen wie die Linksopposition zwei Jahre zuvor. Stalins Richtung hatte auf der ganzen Linie gesiegt. Eine neue Emigration von Trotzkisten und anderen Oppositionellen sickerte nach und nach ins Ausland hinüber. Die Sowjetunion hatte den Weg der autokratischen Diktatur einer kleinen Oligarchie des Parteiapparates beschritten.
Der Mann, der an der Spitze dieses Apparates stand, ließ sich von der Partei und von den Massen feiern. Am 21. Dezember 1929 beging Stalin seinen 50. Geburtstag. Derselbe Gedenktag zu Ehren Lenins war 1920 in einem kleinen bescheidenen Rahmen gefeiert worden. Jetzt waren alle Häuser und Mauern Moskaus mit großen Plakaten bedeckt, die Stalins Bild zeigten, in jedem Schaufenster prangte seine Büste. In jedem Bezirk huldigte ihm der zuständige Parteisekretär in schwülstigen Worten. Stalin wurde nicht nur als Sachvater von Lenins Vermächtnis herausgestellt, sondern als sein direkter Erbe und Vollender.


Obwohl viele Marxisten sich offiziel von dem stalinistischen Massenterror, dem mehr Kommunisten zum Opfer fielen als Hitler, distanzieren, werden die ökonomischen und vor allem politischen Hintergründe nicht gesehen. An der technokratischen Staatssozialismuskonzeption, an der Unterdrückung jeder Initiative der Opposition, an
der Diktatur der Partei bzw. des Politbüros gibt es bei vielen keinen Anstoß.


(1)  N. Suchanow, Tagebuch der russischen Revolution, S. 573

(2)  Stalin, Socinenija Bd. VI, S. 13 ff

(3)  B. Bajanow, Stalin, der rote Diktator, S. 32 ff

(4)  R. Fischer, Stalin und der deutsche Kommunismus. Frankfurt 1948, S. 496

(5)  Boris Souvarine, Stalin, New York 1939, S.495















































 
   
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